Sellin

Vom Bauerndorf zum Ostseebad

Die Ortschaft Sellin wurde im Jahre 1295 als »Zelinische beke« erstmals urkundlich erwähnt. Der Name leitet sich vom slawischen Wortstamm »Zelino« ab. Das bedeutet: Grünes Land. Die »Beke« - oder der Bach, verweist auf einen deutschen Ursprung.

Über die Jahrhunderte gehörte das Dorf zur Grundherrschaft der nachmaligen Fürsten zu Putbus. Die Einwohner waren leibeigen und an die Scholle gebunden. Nach 1750 siedelte sich ein Weber und Schneider, ein Bäcker, ein Stellmacher und ein Schiffer in der Selliner Heide an. 1786 wurde das Dorf zu einem kleinen Ackerwerk und sechs Hofstellen eingerichtet. 104 Einwohner, davon 34 Freie, zählte Sellin im Jahre 1806 bei der Aufhebung der Leibeigenschaft. Mit der Übergabe der Insel Rügen an Preußen endete die Schwedenzeit (1648 – 1815).

Am 2. August 1906 ist die erste Landungsbrücke am Nordstrand mit einem Wohltätigkeitskonzert zu Gunsten der Freiwilligen Feuerwehr eingeweiht worden. Gebaut hat das 508,50 Meter lange Brückenbauwerk die Firma Spruth aus Greifswald. Die Kosten belaufen sich auf 195.000 Mark, an denen sich Spruth mit 40.000 beteiligt und für die der Fürst zu Putbus, als eifriger Befürworter des Brückenbaus, mit 50.000 Mark haftet. Das ursprüngliche Projekt wird noch in der Bauphase um eine Ufertreppe und die Errichtung einer Laden- und Eingangshalle erweitert.

Der Mangel an Arbeitskräften, durch den 1. Weltkrieg, macht der Gemeinde zu schaffen. 1916 bittet der Gemeindevorsteher die Marine um einen Urlaub von drei Wochen für den Matrosen Albert Thoms, für dringend notwendige Arbeiten an der Brücke und den Seebadeanstalten. 1917 stellt der Kreisbaumeister bei einer Überprüfung fest: »Bei dem jetzigen geringen Verkehr ist zwar nicht zu erwarten, dass der schlechte Belag bricht, es ist aber möglich, dass Besucher der Brücke durch die angefaulten oder offenen Stellen des Belages zu Schaden kommen, dass sie mit dem Stiefelabsatz, Stock oder dergleichen festsitzen und hinschlagen.«

Das Jahr 1924 bringt der Gemeinde am 24. März innerhalb einer Stunde den Totalverlust der Landungsbrücke. Das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt schreibt dazu: »In wenigen Minuten war die lange Seebrücke, mitsamt der schweren Befestigungen an der Spitze, aus dem Grunde herausgerissen und im bunten Durcheinander auf das Eis gehoben… Die Reste sind von den treibenden Eismassen davongetragen und liegen etwa in der Höhe der Waldhalle zwischen Sellin und Binz.«

Der Schaden beläuft sich auf 92.000 Mark! Geld, das die Gemeinde aus eigener Kraft nicht aufbringen kann. Gemeinsam mit der Reederei Braeunlich gründet sie eine Seebrückengesellschaft zum Zweck des Wiederaufbaus und zum Betrieb der Seebrücke. Staatliche Zuschüsse werden zwar beantragt, aber letztendlich nicht genehmigt. Von den 70.000 Mark Startkapital der Gesellschaft realisiert die Gemeinde ihren Anteil von 2/7 durch ein Darlehen der Kreissparkasse Rügen.

Durch ein Konzert des Deutschen Tonkünstlerorchesters für den Wiederaufbau, fließt einiges Spendengeld in die leeren Kassen. Am 15. August kann die neue Brücke dem Verkehr übergeben werden. Trotz Sturm und Regen begrüßt Kurdirektor Hermann Holtz die ersten Fahrgäste beim Betreten der Brücke persönlich mit einem Blumenstrauß und einer Karte, die zum dauernden kostenlosen Betreten berechtigt. Es folgen Jahre in denen der Brückenbetrieb sehenswerte Überschüsse erwirtschaftet – bis 1929 immerhin über 75.000 Mark.

Ab 1810 ließ Fürst Malte Wilhelm I. das Dorf »zum Zwecke der Fischerei« um zwölf neue Hausstellen vergrößern. Mit dem Bau von Lübky's Hotels begann 1887 die Entwicklung Sellins zum Ostseebad. Doch erst mit der Anlage einer breiten Allee mit Promenadenwegen zum Außenstrand – der heutigen Wilhelmstraße – begann die eigentliche Blütezeit Sellins als »Die Perle der Insel Rügen«. Zwischen 1896 und 1912 entstanden prachtvolle Villen im Stil der Bäderarchitektur, die noch heute den besonderen Reiz unseres Ostseebades ausmachen.#

Die ersten Badeeinrichtungen am Strand waren sehr einfach und wurden durch die Damen und Herren gemeinsam genutzt. Bis 1905 wurden daraus getrennte Badeanstalten mit insgesamt 200 Zellen.

Bereits 1894 wurde ein Warmbad am Nordstrand betrieben - mit Meerwasser und in kupfernen Badewannen. Viele Sommergäste reisten zur damaligen Zeit mit der Bahn über Berlin nach Stettin und weiter per Schiff in die Rügenschen Ostseebäder. Die einheimischen Fischer übernahmen mit ihren Segelbooten das Anlanden der Passagiere an den behelfsmäßigen Bootsstegen. Mit dem Bau der Seebrücke bekam Sellin im Jahre 1906 sein einmaliges Wahrzeichen. In ihrer langen Geschichte wurde sie mehrfach durch Stürme und Eisgang stark beschädigt oder zerstört. Ende der 70er Jahre mußte das Brückenhaus wegen Verrottung abgerissen werden. Der Neubau der Selliner Seebrücke nach der Wende erfolgte in Anlehnung an das historische Vorbild von 1927.

Als 1929 wiederum Eismassen die Brücke bedrohen, fordert der Landrat auf Antrag der Gemeinde erstmals ein Sprengkommando aus Stettin an. Bis 1941 gelingt es die Brücke vor der Zerstörung zu bewahren. Erst der furchtbare Eiswinter 1941/42 bringt für die Selliner Seebrücke das Ende. Nur der Eingangsbereich mit dem Brückenhaus übersteht die Zeiten und wird zu einer beliebten Tanzgaststätte umgebaut. Ob Rock’n’Roll, Twist, Lipsi oder Letkiss, allnächtlich bebt die Brücke. Das Tanz- und Schauorchester Helmut Opel mit seiner Bühnenschau und das Orchester Helmut Koch mit Mambo-Schau und Ultraˇlicht sorgen für ausgelassene Stimmung, manches Mal bis drei Uhr morgens.

Das Ende für die Selliner Seebrücke kommt in den 1970er Jahren. Nachdem die Gesamtanlage 1974 wegen Verrottung baupolizeilich gesperrt werden muss, erfolgt 1978 der Abriss. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR beginnt ein frei gewähltes Gemeindeparlament mit Planungen für einen neuen Seebrückenbau. Man ist sich schnell einig, die historische Ansicht von 1926/27 wieder herzustellen. 20 Millionen Mark, zum größten Teil Kommunalkredite, lässt sich das Ostseebad Sellin seine neue Seebrücke kosten. Am 27. August 1992 erfolgt die Grundsteinlegung durch den alten Strandfotografen Hans Knospe (1899 – 1999), der sich schon zu DDR-Zeiten vehement für den Brückenbau einsetzt. Mit seiner Unterstützung entsteht sogar ein DEFA-Dokumentarfilm, der mutig das Thema Seebrücke aufgreift und bewusst an die vergangenen, herrlichen Zeiten erinnert.

Am 2. April 1998 wurde die neue Seebrücke mit einem Festakt an die Gemeinde übergeben.